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Psychische Belastungen im Arbeitsumfeld nehmen zu und führen zu einem steigenden Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage - bei den 40- bis 44-Jährigen im Jahr 2022 sogar auf rund 21,3 Prozent. "Grund genug, um das Thema im Forum BGM immer wieder aufzugreifen", so Susanne Sabisch-Schellhas, Projektleitung ddn Hamburg in ihrer Begrüßung.
"Im November 2023 haben wir über die Ent-/Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen gesprochen, jetzt nehmen wir BEM-Beratende in den Fokus. Sie werden mit den betroffenen Kollegen/-innen konfrontiert und setzen sich mit ihnen und ihrer Erkrankung auseinander", führte Sabisch-Schellhas aus. Der Arbeitskreis Betriebliches Eingliederungsmanagement (BGM) bot BEM-Beratenden ein Forum, um über Ängste, Erfahrungen, Vorbehalte und Wünsche zu sprechen und Wege zu einem sicheren Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitenden aufzuzeigen.
Mika Fischer, Stv. Leiter Betriebliche Gesundheit und Prävention bei der FAW gGmbH, untermauerte die Bedeutung psychischer Erkrankungen für das BEM mit Zahlen: So verzeichneten diese Krankheitsbilder seit 2000 den größten kontinuierlichen Anstieg auf heute 230 Prozent und stehen nach den Atemwegserkrankungen, die mit Corona plötzlich in die Höhe schossen, auf Platz 2. Es dominieren Depressionen, Erschöpfung und Ängste. Auffällig ist der Anstieg bei den 15- bis 29-Jährigen sowie in den Altersgruppen ab 45 Jahren. Bei den Älteren sind deutlich mehr Frauen als Männer betroffen, was der Referent auf persönliche wie körperliche Veränderungen in dieser Lebensphase zurückführte.
Mit Verweis auf das "Belastung-Ressourcen-Modell" nach Bakker nannte der Referent negative betriebliche Faktoren wie Arbeitsintensität, Zeitdruck, Schichtarbeit und Arbeitsplatzunsicherheit sowie positive wie Partizipation, soziale Beziehungen, Wertschätzung, Autonomie und vielfältige Aufgaben. Geraten die Betroffenen dann in einen Teufelskreis mit negativer Rückkoppelung besteht die Gefahr einer Dauererkrankung bis hin zum Arbeitsplatzverlust.
Erste Erkennungszeichen für ein drohendes Burnout, das als Sammelbegriff für verschiedene Formen von Erschöpfung und innerer Leere steht, sind ein hohes Engagement, das Gefühl unentbehrlich zu sein und die Verleugnung eigener Bedürfnisse. In der zweiten Phase dominieren eine sich ausbreitende Erschöpfung, verminderte Belastbarkeit, Stimmungsschwankungen und ein erhöhter Erholungsbedarf. Schließlich mündet die Abwärtsspirale in Resignation, Entmutigung, verringerter Frustrationstoleranz, Entscheidungsschwäche, Konzentrationsstörungen, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Minderwertigkeitsgefühlen.
Was bedeutet das nun für die BEM-Beratenden? Ewa Jakubczak leitet die Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgebende (EAA) bei der BIHA Hamburg und nennt folgende Punkte, die im Gespräch mit dem erkrankten Mitarbeitenden zu beachten sind: Wertschätzung, Vertrauen, Orientierung, Struktur und Verbindlichkeit. Ziel ist es, die Selbstwirksamkeit zu stärken und Ressourcen aufzuzeigen. Fallmanager/-innen und BEM-Beauftragte sollten vom Erstgespräch nicht zu viel erwarten und vor allem zuhören, geduldig sein, Verständnis zeigen und Vertrauen aufbauen. Dabei dürfen sie ihre Rolle nicht aus dem Auge verlieren: im Auftrag des Arbeitgebenden die Arbeitsfähigkeit des Mitarbeitenden wiederherzustellen. Sie sind Lotsen/-innen im System und sollten an die Selbstverantwortung der Mitarbeitenden appellieren, anstatt sich auf Defizite zu fokussieren.
BEM-Beratende sind keine Therapeuten/-innen und stellen keine Diagnose. Um sich selbst zu schützen, ist es erforderlich, sich abzugrenzen, Supervision in Anspruch zu nehmen und für die eigene Entspannung zu sorgen.
In der Beratung kann der Mitarbeitenden auch an Unterstützungsangebote verweisen werden, z. B. an eine psychosoziale Beratungsstelle im Unternehmen (wenn vorhanden). Er/sie kann den Betriebsrat und/oder die Schwerbehindertenvertretung einbinden. Um zur Ent-Stigmatisierung beizutragen, können Coachings von Führungskräften oder Workshops für Mitarbeitenden im Rahmen des BGM angeboten werden.
Ein relativ neues und noch nicht allen Beratenden bekanntes Instrument stellte Hannah Funk, BEM-Beraterin bei der FAW, vor. Die digitale Gesundheitsanwendung DiGA unterstützt bei der Erkennung, Überwachung oder Linderung von Krankheiten oder der Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderung. Sie ist als App oder Browseranwendung nutzbar – allerdings nur von Patienten/-innen und Ärzten/-innen. Die Anwendung kann verordnet und von der Krankenkasse bezogen werden. Weitere Angebote und Beratungsstellen stellt die Stadt Hamburg zur Verfügung (s. Präsentation). Als Hilfe zur Selbsthilfe kann DiGA bereits frühzeitig oder auch präventiv genutzt werden und die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrücken.
In Tischgruppen tauschten sich die Teilnehmenden im Anschluss an die Vorträge anhand von drei Fragestellungen über ihre eigenen Erfahrungen aus:
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beratenden mit großen Unsicherheiten in das Gespräch gehen. Sie sehen ihre Einflussmöglichkeiten als begrenzt an, befürchten dem Menschen nicht gerecht werden und nicht konkret helfen zu können oder auch selbst voreingenommen zu sein.
Die Teilnehmenden wünschten sich mehr Unterstützung seitens des Unternehmens in Form von Weiterbildung, Supervision, Wissen über Krankheitsbilder und Handlungsleitfäden für den Umgang mit psychisch Erkrankten. Auch Anleitung, wie sie sich emotional abgrenzen und ihre beschränkten Handlungsmöglichkeiten akzeptieren können, wurden gewünscht. Helfen würden eine positive Unternehmenskultur und eine verständnisvolle Führung sowie Vernetzung und Austausch.
Die Möglichkeit, sich in einem Forum offen mit anderen Beratenden auszutauschen, fand den Beifall der Teilnehmenden. Sie wünschten sich für folgende Runden auch konkrete Fallbeispiele und weiteren Input zur Rolle der BEM-Beauftragten, insbesondere zu den Themen Ziele, Grenzen und Ablauf des BEM sowie zur Stärkung ihrer Rolle als Fallmanager/-in und Lotse/-in. Über das Zusammenspiel bzw. die Vernetzung mit den Rentenversicherungsträgern und dem Integrationsamt besteht ebenfalls Aufklärungsbedarf sowie über die Anwendung und Funktionsweise von DiGA würden die Beratenden gerne mehr erfahren.
Diese Themen werden in folgenden Vernetzungstreffen des Arbeitskreises aufgreifen.