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28.11.2022

Digitaler Stress im Arbeitsleben – Ursachen, Auswirkungen und Prävention

Dr. Voermans
Dr. Sabine Voermans, Leiterin des TK-Gesundheitsmanagements, stellte Umfrageergebnisse zum Thema digitaler Stress vor.

Videokonferenzen, Online-Tools, neue Programme, ständige Erreichbarkeit und zahlreiche digitale Kommunikationskanäle, die permanent parallel bedient werden müssen – digitaler Stress im Arbeitsleben wird für viele Menschen zum Problem. Irgendwann greift der Stress die psychische und physische Gesundheit an. Wie können wir uns und unsere Mitarbeitenden davor schützen? Dr. Sabine Voermans, Leiterin des TK-Gesundheitsmanagements, und Fleur Glaner, Leiterin Betriebliche Gesundheit und Prävention der FAW gGmbH, übermittelten beim Forum BGM statistische Fakten sowie praktische Erfahrungswerte und leiteten in den spannenden Austausch mit den Unternehmensvertretern/-innen ein.

Was verursacht (digitalen) Stress?

"Stress ist die körperliche Reaktion auf eine verunsichernde Situation", so Dr. Sabine Voermans in ihrem Impulsvortrag. "In uns steckt immer noch der alte Säbelzahntiger – bei einer Bedrohung verharren wir in Schockstarre oder haben den Impuls zu fliehen." Heute entsteht der Stress beispielsweise, wenn wir uns durch neue Arbeitsaufgaben überfordert fühlen.

Die Digitalisierung ist für viele Menschen eine solche Herausforderung. Privat wie beruflich sind digitale Devices zu ständigen Begleitern geworden. So sind 76 Prozent der Erwachsenen immer online. Die TK-Studie "Schalt mal ab, Deutschland" von 2021 ergab, dass eine intensive Nutzung digitaler Geräte zu Krankheitssymptomen und Erschöpfung führen können. Dennoch fällt sechs von zehn Nutzern/-innen das Abschalten schwer. Als Ursachen führt Dr. Voermans unter anderem Algorithmen an, die einem immer neue passende Inhalte ausspielen. Aber auch die Angst, etwas zu verpassen (Fear of missing out – FOMO), sowie Mechanismen, die das Belohnungssystem aktivieren.

Wie wirkt sich Stress auf die Gesundheit aus?

76 Prozent der Erwachsenen sind fast immer online
76 Prozent der Erwachsenen sind fast immer online

Lange Bildschirmzeiten verhindern, dass wir uns entspannen und erholen. Es fehlen Pausen und Ruhephasen, wie sie auch vom Arbeitsschutz vorgeschrieben werden. Zur ständigen Medienpräsenz trägt auch ein Verschwimmen zwischen Arbeit und Privatleben bei, das mehr als die Hälfte der Befragten zwar sieht, jedoch nur teilweise als Belastung empfindet.

Spannungsfeld Digitalisierung
Umfrage unter den Teilnehmenden zum Spannungsverhältnis Digitalisierung.

So sehen die meisten Befragten in der digitalen Kommunikation eine Erleichterung im Kontakt zu Kollegen/-innen und Geschäftspartnern/-innen, eine Beschleunigung der Arbeitsprozesse und mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung.

In einem Exkurs wies die Referentin auf das Phänomen Cybermobbing hin, das schon Kinder und Jugendliche betrifft und von Beschimpfungen bis zum unerlaubten Veröffentlichen von privaten Fotos reicht. Diese Form von digitalem Stress sei gerade bei Aszubildenden im Blick zu behalten. In manchen Fällen könne diese Belastung in die Sucht oder zur psychischen Erkrankung führen.

Welche Faktoren wirken gegen Stress?

Was als belastend empfunden wird, liegt an der persönlichen Konstitution und Situation, erklärt Dr. Voermans. Wer soziale Unterstützung von Kollegen/-innen und Partnern/-innen erhält, seine Grenzen kennt und Selbstfürsorge lebt, ist resilienter gegen den Stress. Kommt es jedoch zu Konflikten zwischen den Ansprüchen von Job und Familie, nimmt die emotionale Erschöpfung zu.

Für einen gesunden Umgang mit der Digitalisierung bei der Arbeit empfiehlt Dr. Voermans Unternehmen drei Handlungsoptionen:

  1. Unterstützen Sie die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden durch angemessene Arbeitsbedingungen und Lernmöglichkeiten.
  2. Entwickeln Sie die Führungskräfte zu Begleitern/-innen im Kulturwandel und Vermittlern/-innen zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen.
  3. Stärken Sie die Selbstfürsorge und Gesundheitskompetenz der Mitarbeitenden und wirken Sie Entgrenzung und Selbstausbeutung entgegen.

 

Digitaler Stress in der Unternehmenspraxis

Fleur Glaner
Fleur Glaner leitet den Bereich "Betriebliche Gesundheit und Prävention“ der FAW gGmbH und konnte viele Beispiele und Lösungswege aus der Praxis einbringen.

Fleur Glaner von der FAW begegnet in ihrer betrieblichen Beratung immer häufiger digitalem Stress. Die Betroffenen nennen als Ursachen unter anderem die Vielzahl an Kanälen und Tools, die sie alle gleichzeitig im Auge behalten und bedienen müssen.

Andere fühlen sich durch häufige Unterbrechungen gestört. Beispielsweise wenn sie im Online-Meeting sind und gleichzeitig das Telefon klingelt, eine Nachricht auf dem Diensthandy aufpoppt und Anfragen via E-Mail und Messenger-Dienst eingehen. Es bestehe der Druck, immer präsent und erreichbar zu sein. "Wenn ich nicht sofort auf die über verschiedene Kanäle eingehenden Anfragen reagiere, blockiere ich wohlmöglich eine Person, die meine Information für den eigenen Arbeitsprozess dringend benötigt", gibt eine Teilnehmende zu bedenken.

Stressfaktoren
Stressfaktoren digitaler Arbeit.

Auch nach Verlassen des Büros lässt der Arbeitsdruck häufig nicht nach, denn fast alles, was in der Arbeitszeit nicht geschafft wurde, kann inzwischen digital von zuhause erledigt werden. Eltern in Teilzeitarbeit, beantworten neben der Kinderbetreuung vom Smartphone aus auch am Nachmittag E-Mails und Mitarbeitende, die eigentlich krank sind, treiben Prozesse über den Laptop vom Krankenbett aus voran.

Die Verpflichtung, "always on" zu sein, entsteht auch aus einem Gefühl ständiger Kontrolle durch Kollegen/-innen und Vorgesetzte, auch mittels Software. Wer digital nicht erreichbar ist, macht sich verdächtig, nicht zu arbeiten. Fehlen dann auch noch der persönliche Kontakt und Austausch, nehmen Verunsicherung und Stress zu.

Stressvermeidung auf organisationaler Ebene

Was können wir tun?
Was Unternehmen tun können?

Das Unternehmen kann das Stresslevel seiner Beschäftigten mildern, indem es die Rahmenbedingungen optimiert.

Kommunikation

Für Fleur Glaner spielt bei der Zunahme digitaler (Zusammen-)Arbeit die aktive Gestaltung der Kommunikationsprozesse eine wichtige Rolle. Gute Erfahrungen sammelten ihre Kundenunternehmen damit, Leitplanken für die Verwendung und Kombination verschiedener Kommunikationswege verbindlich zu vereinbaren. Darin wird z.B. festgelegt, wie schnell auf E-Mails zu reagieren ist, wer wann erreichbar ist, welche Online-Medien wofür genutzt werden, wie häufig Online-Meetings abgehalten werden, wie Informationen weitergegeben werden, welche Kanäle dafür genutzt werden und wo Wissen gespeichert wird. Wichtig sei es auch, störungsfreie Phasen für fokussiertes Arbeiten zu schaffen und Pausenregelungen zu finden.

Transparenz und Partizipation

Um digitalem Stress möglichst gut vorzubeugen, sollten die Prozesse sollten von Anfang an transparent und partizipativ angelegt sein. Die Einführung neuer Regeln und Instrumente sollte gut vorbereitet und begleitet werden. Ein neues Tool wird erst dann eingeführt, wenn die Mitarbeitenden zuvor gut informiert und geschult wurden.

Bei Schulungen ist es vorteilhaft, Neues in kleinen Häppchen einzuführen und Ansprechpartner/-innen zu benennen, die als digitale Lotsen fungieren. Ein digitales Mind-Set braucht eine offene Unternehmenskultur, die auf Vertrauen basiert und von den Führungskräften vorgelebt wird.

Soziale Unterstützung

Kollegiale Begegnungen können bei der Zunahme digitaler Arbeitsprozesse abnehmen. Doch gerade ein guter Kontakt zu Kollegen und Vorgesetzten und deren gegenseitige Unterstützung können helfen, (digitalen) Stress besser zu bewältigen. Unternehmen können kann Gelegenheiten für den regelmäßigen (virtuellen) Austausch in Coffee Breaks, Meet-ups, Team-Chats, virtuellen Sprechstunden und ähnlichem bieten. Welche Instrumente verwendet werden, richtet sich an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden aus, die in die Auswahl mit einbezogen werden sollten.

Das sagen die Unternehmensvertreter/-innen

Ewa Jakubczak
Ewa Jakubczak ist Beraterin der BIHA Hamburg, leitet den Arbeitskreis BEM unter dem Dach von ddn Hamburg und moderierte einen der Breakout-Räume.

Nach einer "aktiven Pause", in der Imke Drews von GainPassion die Teilnehmenden am Bildschirm durch Dehnungs- sowie Augen- und Atemübungen entspannte und mit neuer Energie versorgte, wurden die Themen in Breakout-Räumen vertieft. In drei Gruppen diskutierten die Teilnehmenden über ihre Erkenntnisse aus den Vorträgen und die Erfahrungen aus dem eigenen Unternehmen.

Heraus kamen drei unterschiedliche Schwerpunktthemen, die für die jeweilige Gruppe im Fokus standen. Partizipation und frühzeitige Einbeziehung aller Mitarbeitenden hatte für ein der Gruppen Priorität bei der Vermeidung von Stress. Die andere Gruppe sah den Hebel vor allem in der Führung und in einem neuen Führungsverständnis. Die dritte Gruppe plädierte für eine wertschätzende Unternehmenskultur, die Fehler toleriert und Raum für (begleitete) Lernprozesse schafft.

Aufnahme in die Arbeitskreise BGM und BEM

Forum BGMWer die hier angerissenen Themen vertiefen möchte, ist herzlich eingeladen, an unseren beiden Arbeitskreisen "Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz" (Leitung: Fleur Glaner, fleur.glaner@faw.de) und "Betriebliches Eingliederungsmanagement" (Leitung: Ewa Jakubczak, ewa.jakubczak@faw.de) teilzunehmen. Schreiben Sie dafür einfach eine E-Mail an die jeweilige Leiterin des Arbeitskreises.

Präsentationen

pdf "Digitaler Stress – Was verursacht digitalen Stress im Arbeitsleben und wie wirkt er sich auf die Gesundheit aus?", Dr. Sabine Voermans (PDF)

pdf "Was tun gegen digitalen Stress?", Fleur Glaner (PDF)